Liebe Schwestern und Brüder,

wer in Fragen des christlichen Glaubens, wie er in unserer evangelischen Kirche gelebt und lehrt wird, geschult ist, sieht in diesen beiden Wochensprüchen einen Widerspruch.

 

Am 10. Juli hören wir, dass von uns erwartet wird, das Gesetz Christi zu erfüllen. Das Gesetz sagt konkret, dass Christen/Christinnen die Last des anderen/der anderen tragen oder mittragen sollen. Der Wochenspruch am 17. Juli sagt uns, dass wir aus einem selbstbezogenen und egoistischen Leben gerettet sind aus Gnade, d.h. die Rettung ist eine Gabe Gottes, die wir im Glauben empfangen und für uns gelten lassen.

 

Gesetz oder Gnade, das sind die beiden Wirklichkeiten, die uns Menschen helfen sollen, Gott nahe zu sein. Aber diese beiden Wirklichkeiten schließen sich gegenseitig aus. Entweder auf dem Weg des Gesetzes oder auf dem Weg der Gnade, beides zusammen geht nicht, so hat es Martin Luther gelehrt und gelebt. Der Weg der Gnade ist der von Gott geschenkte, da geht die Initiative von ihm aus, da setzt sich sein Wille durch, mit dem Menschen zusammen zu sein.

 

Den Weg des Gesetzes bevorzugt der Mensch. Er meint, auf diesem Weg ist er Herr seines Lebens, nicht von Gott abhängig und er kann sich Ansprüche Gott gegenüber erwerben.

 

Aber der Widerspruch zwischen den beiden Bibelstellen ist nur ein scheinbarer. Auch Martin Luther mochte beide Stellen gern und hielt ihre Aussagen für glaubensnotwendig. Entscheidend ist der Ort, an dem das Gebot Christi gelebt wird und wem gegenüber es gelebt wird. Martin Luther lehnte die Orientierung am Gebot ab, wenn mit seiner Erfüllung Gott beeindruckt werden sollte. Wird aber ein Mensch durch den Glauben, d.h. durch das Vertrauen auf Gott in Christus in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen, dann wird das Gebot sozusagen von selbst zum Leitfaden seines Lebens. Leben in der Gemeinschaft mit Gott bewirkt ja, dass wir befreit werden von unserer Selbstbezogenheit und unserem Egoismus. Das Gebot Christi wird dann zum Anreger und Hinweisgeber für uns, wie wir mit offenen Augen, liebevollem Herzen und tüchtigen Händen mit unseren Mitmenschen zusammenleben können.

Hans-Peter Göll, Pfarrer